Das sieht man nicht alle Tage. In Wien-Floridsdorf bietet Swantje Hurka in ihrem Garten tiergestützte Therapie mit Hühnern an.

Mitten in Wien zwischen großen Wohnblöcken hört man sie gackern: Rosi, Käthe und Irma drehen gemütlich ihre Runden im grünen Garten von Swantje Hurka. Die Wienerin und ihre tierischen Mitbewohnerinnen sind in der Nachbarschaft bereits bekannt. Die drei Hennen leben aber nicht als ungewöhnliche Haustiere bei Swantje, sondern sind eigentlich ihre Arbeitskolleginnen.

Die Wienerin, die als Ergotherapeutin tätig ist, bietet mit Hilfe des gefiederten Trios tiergestützte Therapie an. "Gestartet hat das Projekt mit Beginn der Corona-Pandemie. Ich war viel in meinem Garten und habe überlegt, etwas mit Natur und Tieren zu machen. Ich habe seit meiner Kindheit eine große Sympathie für Hühner. Die Hennen habe ich jetzt ungefähr zwei Jahre."

Mit Hennen in der U-Bahn unterwegs

Die Wienerin absolvierte eine Zusatzausbildung für tiergestützte Therapie. Seit dem Frühjahr ist sie mit ihren gefiederten Kolleginnen im Einsatz. "Mir ist es sehr recht, wenn Leute in den Garten kommen, um die Hühner in ihrem natürlichen Umfeld zu erleben." Hurka bietet aber auch Besuche mit den Hennen an. "Ich habe einen Transportwagen mit dem ich in der U-Bahn unterwegs bin. Das führt oft zu erstaunten Blicken und lachenden Gesichtern."

Bisher hat die Wienerin gemeinsam mit ihren Hühnern in Pflegeheimen Therapiestunden gegeben. "Ich arbeite in einer Gruppe mit den Tieren oder einzeln. Gerade bei älteren Menschen merkt man, dass sehr viele Erinnerungen aus der Jugendzeit hochkommen. Nachweislich ist die Arbeit mit den Tieren blutdrucksenkend und beruhigend."

 

Garten für Tiere komplett umgebaut

Im Herbst haben sich bei der Wienerin bereits Schulklassen zum Besuch angemeldet. "Gerade die Arbeit mit Kindern finde ich sehr spannend. Hühner kennt jeder irgendwo, aber meistens am Teller als Ei oder als Fleisch. Mir ist es wichtig mit den Schülern zu erörtern, wo unser Essen herkommt." 

"Tagsüber, wenn sie Eier legen, melden sie das schon. Dann ist hier auch ziemlich Krawall."

Für das Therapieangebot mit den Hühnern hat Hurka ihren Garten komplett umgestaltet. Ein eigener Hühnerstall wurde für die Tiere errichtet und auch für genügend Schattenplätze hat die Wienerin gesorgt. "Dort können die Tiere ihre Pausen einlegen." Apropos legen: Durch die Hennen hat die Ergotherapeutin ihre eigene Eierversorgung. "Tagsüber, wenn sie Eier legen, melden sie das schon. Dann ist hier auch ziemlich Krawall."

Wegen Hitze können Therapiehühner im Sommer selten reisen

Eine Therapiestunde mit den Hühnern im Garten der Wienerin kostet 40 Euro. "Wenn ich mit den Tieren zu Klienten fahren kostet eine Einheit von 45 Minuten bei einer Einzelperson 60 Euro. Im Sommer passiert das aber selten, da ich bei über 28 Grad die Tiere nicht transportieren darf und das für sie auch einfach zu anstrengend ist."

 

Interview von Amra Duric auf heute online

Veröffentlicht am 06.07.2022

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www.heute.at

österreichische Tageszeitung

Ausgabe vom 06.07.2022, Text Amra Duric, Fotos Helmut Graf

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Gefiederte Therapeutinnen

Swantje Hurka lebt mit einer kleinen Hühnerschar in Wien-Floridsdorf. Ihre Hennen sind aber keine Haustiere oder Eierlieferanten, sondern Kolleginnen, die sie bei ihrer therapeutischen Arbeit unterstützen. Ein Interview über ganz und gar nicht dumme Hühner.

 

Swantje Hurka mit ihren Arbeitskolleginnen im Garten. (Foto: Swantje Hurka)

Als diplomierte Ergotherapeutin war Swantje Hurka lange in den Bereichen Behindertenarbeit mit Körper- und Mehrfachbehinderungen, in der Neurologie und im Geronto-Psychiatrischen und (Alkohol-)Sucht-Bereich tätig. Daneben absolvierte sie eine Zusatzausbildung für Gesundheitsgymnastik und als Ernährungsvorsorge-Coach. Im Corona-Lockdown entstand der Wunsch, ihre Arbeit als Ergotherapeutin mit tiergestützter Therapie zu ergänzen. Anfangs dachte sie dabei an einen klassischen Therapiehund. Vielleicht ein Königspudel? Stattdessen wurden es drei Hühner, die sie jetzt in ihrem Garten in Wien als Co-Therapeutinnen trainiert. Klingt lustig? Ist es. Aber es ist auch noch so viel mehr.



Die drei Hennen Irma, Rosi und Käthe
Die "Hühnertherapeutinnen" (oder Therapeutinnenhühner) Irma, Rosi und Käthe (v.l.n.r.) - Huhn Irma ist leider überraschend verstorben, die Winterpause wird Swantje Hurka nutzen, um das Trio wieder zu komplettieren. (Foto: Swantje Hurka)


SINNterest: Sie arbeiten in Ihrer Therapie mit Hühnern – das scheint ziemlich überraschend …



Swantje Hurka: Es gibt dafür mehrere Gründe. In meiner Kindheit hatten wir im eigenen Garten für einige Jahre Hühner und diese Tiere haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Während des ersten Corona-Lockdowns saß ich viel in meinem Gärtchen und da entstand das Bedürfnis, die Natur und insbesondere Tiere mehr in meine Arbeit einzubringen. Bald hatte ich die Idee, eine kleine Herde von drei Hühnern anzuschaffen. Da ich mitten in der Großstadt lebe, finde ich es besonders reizvoll, mit typischen Bauernhof-Nutztieren in einem ganz anderen Kontext als üblich und gewohnt zu arbeiten.



SINNterest: Hühner werden ja oft als dumm angesehen – wie gut kann man Hühner trainieren?



Hurka: Mit dieser Ansicht tut man ihnen sehr unrecht. Wer diese Meinung vertritt, sieht nicht das einzelne Tier, sondern die große Menge, die wild durcheinandergackernd und flatternd oftmals auf viel zu engem Raum gehalten wird, wo die einzelnen Tiere nicht ihre Persönlichkeit entfalten können. Denn Hühner sind - so wie viele andere Vögel auch - intelligent und besitzen auch emotionale Intelligenz. Sie können eigene und fremde Emotionen erkennen und mit ihnen umgehen. Diese Fähigkeit ist im Einsatz bei tiergestützten Interventionen sehr nützlich. Durch sorgfältiges Training lässt sich auch die Stresstoleranz der Hühner sehr gut steigern, ein weiterer Vorteil für die Therapie. Insgesamt lassen sich Hühner sehr gut trainieren, besonders mit dem so genannten Clicker-Training. Was ein Huhn einmal gelernt hat, vergisst es nicht mehr so schnell. Wobei es da natürlich individuelle Unterschiede gibt: Manche Tiere „brennen“ nahezu darauf, etwas Neues zu lernen, andere können mit dem Training überhaupt nichts anfangen, manche laufen nur mit und sehen den anderen zu…



Swantje Hurka schiebt einen Transportwagen für ihre Hühner
Am Weg zum nächsten Einsatz: Mit ihrem Hühnertransport sorgt Swantje Hurka in der U-Bahn für Aufsehen - und Freude. (Foto: Swantje Hurka)


SINNterest: Was sollten mehr Menschen über Hühner wissen?



Hurka: Hühner sind sehr gute Beobachter*innen und wie schon erwähnt sehr sensibel im Wahrnehmen von Emotionen. In einer überschaubaren Herde bis etwa 90 Tiere und genügend Freiraum können sie eine funktionierende und überlebenswichtige Rangordnung herstellen, die ihnen Struktur verleiht und ihnen genug Überblick lässt, sich auf die eigene Weise zu entwickeln und die anderen Tiere an deren Merkmalen zu erkennen und zu unterscheiden. Wenn man sich nun vorstellt, dass diese wachsamen, intelligenten, sozialen Tiere üblicherweise in Gruppen von 3.000 Individuen auf engstem Raum gehalten werden in einem ohrenbetäubenden Gezeter und pausenlosen Stress, da in der Masse keine Rangordnung funktionieren kann, ist das doch unglaublich traurig und beschämend.



SINNterest: Was macht Ihnen Spaß an der Arbeit mit den Hühnern?



Hurka: Mir macht eigentlich alles Spaß an der Arbeit mit Hühnern. Hühner an sich machen Spaß! Wenn ich Menschen von dieser Arbeit erzähle, sind viele erstaunt, viele interessiert und viele lachen. Desinteresse lösen Hühner selten aus. Die meisten Menschen freuen sich über Hühner, da sie eine witzige und sehr kommunikative Art haben und niemals langweilig sind. Wenn ich mit meinen Hühnern in der U-Bahn unterwegs bin, fangen die Menschen zu strahlen an, freuen sich, stellen Fragen, machen Fotos. Das sind eher unübliche Regungen in einer Großstadt- U-Bahn und allein dafür lohnt sich diese Arbeit schon für mich! Spannend ist aber auch die behutsame Annäherung an die Tiere bei einer bestehenden Angst oder Scheu vor Hühnern oder Vögeln allgemein - was gar nicht so selten ist.



Huhn Irma beim Training
Huhn Irma beim Training. (Foto: Swantje Hurka)


SINNterest: Ganz allgemein gefragt, was bringt tiergestützte Therapie?



Hurka: Grundsätzlich kann gesagt werden, dass ein angenehmer Tierkontakt eine positive Wirkung auf die physische und psychische Gesundheit hat. Er senkt nachweislich den Blutdruck und unterstützt die Muskelentspannung. Der Oxytocin-Spiegel (Wohlfühlhormon) steigt dagegen an. Kognitive Leistungen werden angeregt, das emotionale Wohlbefinden und das positive Selbstwertgefühl gesteigert. Die Anwesenheit eines freundlich gesinnten Tieres kann das Gefühl von „nicht alleine sein“ vermitteln, es hat eine eindeutige antidepressive und antisuizidale Wirkung. Tiere sprechen die emotionale Seite der Menschen an, was im heutigen Gesundheitswesen, aber auch im Alltag vielfach zu kurz kommt. Doch dieser ganzheitliche Ansatz ist meiner Meinung nach wesentlich für positive und heilsame Entwicklung. Mir geht es in dieser Arbeit um den bewussten Kontakt zwischen Tier und Mensch. Es geht mir um das Lernen von Achtsamkeit und Respekt, um das Kennenlernen von Neuem. Es geht mir aber auch darum, den Menschen vermitteln zu können, dass sie von einem Wesen bedingungslos angenommen werden, so wie sie sind, wenn sie auch diesem mit Respekt und Wertschätzung begegnen.



SINNterest: Wie arbeiten Sie konkret mit Ihren gefiederten Therapeutinnen?



Hurka: Wenn eine Stunde „Hühnertherapie“ angekündigt wird, machen sich viele Leute zuerst lustig darüber und nehmen es nicht ganz ernst. Wenn sie aber dann Einzelheiten über die Tiere erfahren und die drei Persönlichkeiten Irma, Käthe und Rosi bewusst kennenlernen, dann möchten sie einen persönlichen Kontakt zu den Tieren aufbauen und bemühen sich sehr, ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Menschen werden aktiv und lebendig und sind zu Aktionen motiviert, die sie sich sonst nicht zutrauen würden. Bei älteren Menschen bietet sich in der Begegnung mit Hühnern häufig eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit an, da diese Tiere viele Erinnerungen aus der eigenen Kindheit und Jugend wach werden lassen. In der Arbeit mit Schulkindern steht weniger der therapeutische Schwerpunkt im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit dem Huhn als Individuum. Losgelöst von den vorherrschenden Bildern des Eier- und Fleischlieferanten ohne Persönlichkeit. Je nach Altersstufe können Themen wie Massentierhaltung, Fleischkonsum, Tierschutz und Tierwohl bearbeitet werden. Es kann aber auch darum gehen, dass Kinder üben, die Tiere aufmerksam zu beobachten, ohne gleich zu agieren. Man sollte nicht unterschätzen, wie schwer es vielen Menschen in unserer schnelllebigen, lauten Welt fällt, sich auf etwas zu konzentrieren und geduldig zu sein.



Huhn bei der Arbeit im Altersheim
Die Hühner im Einsatz in der tiergestützten Arbeit. (Foto: Swantje Hurka)


SINNterest: Was macht für Sie persönlich Sinn?



Hurka: Für mich macht Freude im Leben sehr viel Sinn. Freude, die ich erlebe, aber auch Freude, die ich anderen geben kann. Es sind oft kleine Momente, die aber beachtet werden möchten und die es schaffen können, das Leben als lohnenswert und sinnvoll zu erleben. Dafür braucht es eine gewisse Ruhe und Achtsamkeit, um diese Momente wahrnehmen zu können. Diese Achtsamkeit und Ruhe erlebe ich besonders in der Natur und im Umgang mit Tieren.



Mehr über Swantje Hurka und ihre Hennen unter www.therapiehuhn-wien.at

Interview von Cordula Meindl auf SINNterest.at

Veröffentlicht am 07.11.2022

 

 

Lolli Talk mit Robert Steiner, seit August 2023 auf YouTube.