Ich habe für meine Arbeit die Hühner gewählt. Hühner gelten als Nutztiere, nicht als Haustiere. Es ist eher ungewöhnlich, sie im persönlichen Kontakt mit Menschen anzutreffen und dann auch als Einzelwesen wahrzunehmen. Hühner werden meist in einer kleinen oder größeren Schar, meist in Begleitung eines Hahnes, in einem Gehege, im Freigelände, oder aus den Medien bekannt in großen, überfüllten Ställen wahrgenommen. Sie werden meist gehalten zur Eierproduktion, oder als Masttiere zur Fleischproduktion. Die meisten Menschen kennen wahrscheinlich nur diese Endprodukte der Hühner.
Hühner sind Herdentiere, die mindestens eine weitere Artgenossin für ihr Wohlbefinden brauchen. Ab vier bis sechs Tieren ist dann auch ein Hahn als männliches Regulativ vorteilhaft für die Gruppe.
Diese Tiere beschäftigen sich den ganzen Tag mit Scharren, Futter suchen, Sandbaden, Gefieder putzen, ausruhen. Und das gerne in Gesellschaft. Das alles ist natürlich am besten geeignet im Freien, wo es Erde, Sand, Steinchen zum Scharren gibt, wo es verschiedene Gräser und Blätter zum Fressen gibt, wo sich auch mal ein köstlicher Regenwurm oder eine Larve finden lässt. Wo die Sonne den Platz für das Sandbad aufwärmt, der Wind durch das Gefieder bläst. Also draußen in der Natur. Das ist der artgerechte Lebensraum der Hühner.
Hühner sind aber von Natur aus auch sehr neugierig, sie lernen sehr schnell, welcher Mensch sie versorgt, ihnen das Futter bringt, ihren Stall säubert. Sie lernen, das die Nähe zum Menschen für sie angenehm sein kann, spannend, abwechslungsreich. Kaum kommt "ihr Mensch" in die Nähe, kommen sie angelaufen und plaudern munter drauf los. Natürlich auch in der Hoffnung, etwas Leckeres zu bekommen.
Diese Neugier, diese aufmerksame, rege Art und dieses Interesse an der Nähe zum Menschen, möchte ich in der tiergestützten Arbeit einsetzen.
Hühner sind nicht die üblichen Kuscheltiere. Sie haben kein Fell, sondern Gefieder, sie haben kein süßes Gesicht, sondern einen Vogelkopf mit Schnabel, sie haben keine weichen Pfoten, sondern Krallen. Aber dadurch bieten sie die Möglichkeit, wenn man sich auf sie ganz bewusst einlässt, Vorurteile abbauen zu können, ihre persönlichen Vorzüge kennenzulernen und entstandene Bilder und Meinungen zu erneuern und zu erweitern. Und sie bieten durch ihre Erscheinung, ihr Wesen und ihre Tiergattung die Möglichkeit, von Anfang an den angemessenen respektvollen Umgang, der auch jedem anderen Tier zusteht, leichter einzuhalten, sich bewusst zu machen. So wie man ja auch Mitmenschen gegenüber im Idealfall diesen Respekt einhält.
Was ich noch einsetzen möchte, ist der starke Bezug zur Natur, den die Hühner mitbringen durch ihr Leben draußen. Ich bringe mit diesen Tieren ein kleines Stück Natur in die Stadt, in Gebäude, zu Menschen, die oft wenig Möglichkeit haben, selber in die Natur zu kommen. Die vielleicht vor einiger Zeit außerhalb der Stadt in der Natur gelebt haben, die vielleicht selber Hühner gehalten, oder beim Nachbarn gefüttert haben. Oder Menschen, die ihr ganzes Leben in der Stadt verbringen und bisher keinen persönlichen Kontakt mit diesen Tieren hatten. Zu Menschen, die sich freuen können, ein kleines Stück "Bauernhof" zu erleben, zu Menschen, die versuchen möchten, ihre Scheu vor Vögeln zu überwinden, aber auch zu Menschen, die sich Gedanken machen, dass so viel falsch läuft im Umgang mit sogenannten Nutztieren und mit unserer Natur im Allgemeinen.
Auszug aus der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V.
Merkblatt Nr. 131.3
Eignung von Hühnern für den sozialen Einsatz:
Das Huhn ist zum einen wegen des sehr reizvollen taktilen Erlebnisses im sozialen Einsatz beliebt. Zum anderen zeigen Hühner eine hohe Reaktivität auf menschliche Verhaltensweisen.
Indem das Huhn menschliche Verhaltensmuster sehr gut spiegelt, hilft es seinem Gegenüber, dem Menschen, Eigenschaften wie Zurückhaltung, Höflichkeit, Sanftmut und Bezogenheit zu entwickeln.
Hühnervögel gehören nicht zu den typischen "Streicheltieren". Der enge Personenkontakt mit diesen Tieren ist den meisten Menschen unbekannt, so dass keine eingeübten Umgangsrituale mit dieser Spezies existieren und eine gezielte Kontaktanbahnung hergestellt werden kann.
Herkunft:
Als Vorfahre unserer Hühner gilt das Bankivahuhn, das in waldigen Gebieten Indiens und Süd-Chinas lebte. Diese bewaldeten Habitate bieten dem Fluchttier Huhn Schutz und Deckung vor Fressfeinden und sichere erhöhte Schlafplätze in den Bäumen. Das Huhn ist ein Scharr- und Laufvogel, der die längste Zeit des Tages am Boden verbringt. Die Flugfähigkeit ist nicht gerade überragend und wird nur in Notfällen und oder um den Schlafplatz zu erreichen genutzt. Hühner sind Allesfresser, bei denen sowohl Regenwurm und manchmal auch Maus auf dem Speiseplan steht, als auch Samenkörner aller Art, Gras, Gemüse und Obst. Auch kleine Steine werden in den Kropf gefüllt, die der Zerkleinerung der Nahrung im Magen dienen.
Wildhühner leben in Gruppen von 10 bis 40 Tieren, wobei ein Hahn immer mehrer Hennen betreut. Überzählige Hähne schließen sich zu losen Männergruppen zusammen.
Schon die Römer domestizierten das Wildhuhn und schufen viele verschiedene Farb- und Formvarianten. Ab dem Mittelalter war das Huhn auch hier ein wichtiges Nutztier (Eier, Federn, Fleisch und Dünger).
Verhalten:
In einer Hühnergruppe gibt es eine feste Rangordnung, die, wenn kein moderierender Hahn dabei ist, schon mal blutig ausgetragen wird. Wenn für jedes Huhn die Rangordnung geklärt ist, lebt die Hühnergruppe recht stressfrei zusammen. Die Massentierhaltung aber bedeutet für ein Huhn ständigen Stress, weil es keine sicheren, gefügten Tiergruppen gibt.
Das Huhn hat einen festen Tagesrhythmus. Bei Sonnenaufgang beginnt der Hühnertag mit der Futtersuche, im Lauf des Vormittags wird das Ei gelegt und am Spätvormittag ist die Zeit für das tägliche Sandbad. Anschließend werden die Federn geputzt und geordnet und zum Abschluss aus der Bürzeldrüse nachgefettet. Die Mittagspause wird gerne, wenn vorhanden, in der Sonne und auf einem erhöhten Sitzplatz verbracht. Dann ist erneut die Futtersuche an der Reihe und bei Sonnenuntergang ist ein jedes Huhn gern wieder auf seinem bekannten erhöhten Platz im Stall oder auf dem Baum.
Einmal im Jahr fällt das alte Gefieder ab und wird innerhalb weniger Wochen vollständig neu ausgebildet. Dieses stellt eine hohe Stoffwechselbelastung für den Organismus dar.